Coaching:Zirkuläre Fragen
Zirkuläre Fragen (auch triadische Fragen)wurden in der systemtherapeutischen Praxis entwickelt und werden dort heute erfolgreich eingesetzt, um zirkuläre Prozesse in Beziehungssystemen aufzudecken und starre Kommunikations- und Interaktionsmuster, die Konflikte innerhalb des Systems verursachen, durch eine gezielte Einnahme von unterschiedlichen Beobachterpositionen und Perspektivwechseln zu verflüssigen. Der Fragende (der Therapeut oder übertragen Schulleitungen die Fürhungsperson) eröffnet den Beteiligten durch seine triadische Frageweise Möglichkeiten, sich in andere Positionen hinein zu versetzen und sich dabei auf einen Perspektivenwechsel innerhalb des Systems einzulassen. Die triadische Frageweise provoziert ein „Mutmaßen im Beisein der Anderen“, denn die Beteiligten werden angeregt, ihre Vermutungen über Wünsche, Bedürfnisse, Meinungen, Beziehungen usw. anderer Beteiligter zu äußern. Im wechselseitigen Bezug aufeinander werden neue Denkprozesse eingeleitet und Veränderungen möglich.
Fragetechniken und Frageformen des Zirkulären Fragens
Die im Folgenden aufgeführten Fragetypen sollen nicht als Standardfragen gehandhabt werden, sondern als Leitfaden zur Verdeutlichung von allgemeinen Prinzipien des zirkulären Fragens gesehen werden. Mit welchen konkreten Inhalten diese allgemeinen Prinzipien dann gefüllt werden, hängt vom Kontext der aktuellen Konversation ab.
Fragen nach Unterschieden
Phänomene (Konflike, Dienstvergehen, etc.) lassen sich leichter beschreiben, wenn man sie von anderen abgrenzt. Abgrenzung erfolgt durch Unterscheidung – genauer durch die Klärung beobachtbarer Merkmale der Unterscheidung, welche das Phänomen harakterisieren. Fragen nach Unterschieden sollen daher zur Klärung von Begrifflichkeiten und Bedeutungszuschreibungen im Kontext beitragen. Dabei wird streng differenziert zwischen Beschreiben, Erklären und Bewerten.
Klassifikationsfragen
Klassifikationsfragen zielen auf qualitative Unterschiede ab. Rangfolgen von Akteuren hinsichtlich einer interaktiven oder kommunikativen Situation sollen eingestuft werden. Dabei werden Unterschiede in Sichtweisen und Beziehungen greifbar.
Beispiele:
- „Wer würde als erster ..., wer zuletzt ...?“
- Wenn man eine Rangfolge in Bezug auf ...erstellen wollte, wer käme an erster Stelle,zweiter Stelle ...letzter Stelle?“
- „Angenommen jemand möchte den Streit abbrechen, wer wäre der erste, zweite,...?“
- „Wer freut sich über Ihren gelungenen Abschluss in der Familie am meisten? Wer amwenigsten?“ Prozentfragen
Prozentfragen
Prozentfragen ermöglichen unter anderem eine bessere Differenzierung und Präzisierung von Ideen, Überzeugungen, Stimmungen, Meinungen voneinander usw. in quantitativer Hinsicht. Je nach Bedarf können zusätzliche Skalierungen eingesetzt werden.
- „Zu wie viel Prozent halten Sie dies für ... und zu wie viel Prozent hingegen für ...?“
- „Zu wie viel Prozent halten Sie Ihr Problem für ein privates, zu wie viel Prozent für ein dienstliches Problem?“
- „Für wie felsenfest halten Sie auf einer Skala von 0 bis 100% die böse Absicht des Kollegen A? Wie hoch schätzen Sie auf dieser Skala die böse Absicht der Kollegin B ein?“
Übereinstimmungsfragen
Übereinstimmungsfragen haben zweierlei Funktionen. Zum einen geben sie Hinweise auf Koalitionen, zum anderen geben sie die Möglichkeit des Feedbacks zu vorherigen Äußerungen.
- „Wer stimmt mit wem überein/nicht überein?“
- „Stimmen Sie dem zu oder sehen Sie das anders?“
- „Kollege A denkt, du hättest einen engeren Bezug zu Kollegen B als zu ihm. Kollege Br sieht es genau umgekehrt. Welcher Sicht würde Kollegin C eher zustimmen?“
- „Sind Sie der gleichen Meinung wie Ihr Kollege oder sehen Sie den Sachverhalt anders?“
Subsystemvergleiche
Durch Subsystemvergleiche werden empfundene Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener Gruppierungen im sozialen System verdeutlicht. Koalitionen sowie deren Bedingungen werden direkt erfragt. Vermeintliche Tabuthemen werden dabei nicht umgangen.
- „Welches sind die gegenwärtigen Bündnisse und Allianzen in der Abteilung?“
- „Wer macht was mit wem wann?“
- „Welche unterschiedlichen Spielregeln gibt es in unterschiedlichen Teams?“
- „Sind Koalitionen und Allianzen zuverlässig und berechenbar oder wechselnd?“
- „Wer hat die engste Beziehung zur Abteilungsleitung? War das schon immer so? Wodurch könnte diese Verbindung gestört werden?“
4.2.2 Fragen nach Wirklichkeits- und Möglichkeitskonstruktionen
Wirklichkeiten in einem sozialen System sind konstruiert, denn Situationen sind immer durch
die subjektive Wahrnehmung des Einzelnen gefiltert. Es gibt folglich keine eindeutige
Wirklichkeit, sondern viele Wirklichkeitskonstruktionen der verschiedenen Beobachter. Um
neue Bewertungsmöglichkeiten und Handlungsspielräume im sozialen System herbei zu
führen, ist es zunächst wichtig, die gegenwärtige Situation des Systems aus Sicht aller
Beteiligten für alle Beteiligten durchschaubar zu machen.
Beispiele: „Wer hatte die Idee zu diesem Kontakt?“
„Was möchten Sie, was hier passieren soll?“
„Wer will hier was von wem?“
„Aus welchen Verhaltensweisen (Wie? Wann? Wo?) besteht das Problem?“
„Wer reagiert am meisten auf das Problemverhalten, wer weniger? Wen stört es, wen
nicht?“
„Wie erklären Sie sich, dass das Problem entstanden ist, wie dass es dann und dann
auftritt und dann und dann nicht? Welche Folgen haben diese Erklärungen?“
„Was hat sich in den Beziehungen verändert, als das Problem begann?“
Sind Wirklichkeitskonstruktionen für alle Beteiligten durchschaubar, so werden sie
veränderbar. Die Kenntnis anderer Wirklichkeiten schwächt die Absolutheit der eigenen
Wirklichkeit. Fragen zur Möglichkeitskonstruktion sollen, darüber hinaus, neue
Wirklichkeiten für das System offerieren. Möglichkeitskonstruktionen in der Form von
Gedankenexperimenten sind ein gutes Verfahren um in der Vorstellung Optionen
durchzuspielen und angstfrei Veränderungen zu erproben.
Fragen zu Möglichkeitskonstruktionen werden in zwei große Bereiche aufgeteilt. Zu den
Fragen nach der Möglichkeitskonstruktion gehören:
(1) Lösungsorientierte Fragen (Verbesserungsfragen)
In einem problembelasteten Kontext richtet sich der Fokus aller Beteiligten meist nur
auf eben diesen. Solch ein eingeschränkter Blickwinkel verhindert die Wahrnehmung
von Ressourcen, die zu einer Auflösung des Problems führen könnten. So scheint man
sich von einer möglichen Lösung immer weiter zu entfernen. Lösungsorientierte
Fragen hingegen verlagern diesen Fokus.
Fragen nach Ausnahmen von Problemen
Oft sehen die Beteiligten des Systems das Problem/ Symptom als die Regel an:
„Person X ist immer depressiv“. Durch Fragen nach Ausnahmen wird wiederum
verdeutlicht, dass das Problem nicht allgegenwärtig ist.
Beispiel: „Wie oft (wie lange, wann, wo) ist das Problem nicht aufgetreten?“
© Reich, K. (Hg.): Methodenpool. In: URL: http://methodenpool.uni-koeln.de 2008 ff
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„Was haben Sie und andere in diesen Zeiten anders gemacht?“
„Wie könnten Sie mehr von dem machen, was Sie in Nicht-Problem-Zeiten gemacht
haben?“
Fragen nach Ressourcen
Die Fragen nach Ressourcen eröffnen den Beteiligten den Blick auf ihre Stärken und
Fähigkeiten. Dem Problem kommt so eine zweitrangige Rolle zu.
Beispiel: „Was soll in Ihrem Leben so bleiben wie es ist, was ist gut daran?“
„Was gefällt Ihnen an sich selbst und an den anderen?“
Wunderfragen
Wunderfragen geben vor, dass sich das Problem durch ein Wunder aufgelöst hat.
Dabei fragen sie nicht nach dem „Wie?“, sondern nach dem „Was-ist-danach?“
Sie zielen darauf ab, unverbindlich mögliche Problemlösungen zu phantasieren. Das
hohe Maß an Unverbindlichkeit bewirkt, dass sich keiner der Beteiligten
verantwortlich fühlen muss, eine Lösung herbeizuführen.
Beispiel: „Angenommen heute Nacht käme eine Fee und würde Ihnen das Problem
abnehmen, was wäre dann morgen anders?“
„Wer würde als erstes erkennen, dass das Wunder über Nacht geschehen ist, und
woran?“
„Was würden die Menschen um Sie herum danach anders machen?“
(2) Problemorientierte Fragen (Verschlimmerungsfragen)
Durch problemorientiertes Fragen soll jedem einzelnen Beteiligten bewusst werden,
dass er eine aktive Rolle bei der Erhaltung des Problems einnimmt und in welcher
Form sie sich gestaltet. Dass Probleme bewusst erzeugt werden, impliziert
gleichzeitig, dass sie dann auch bewusst unterlassen werden können.
Beispiel: „Was könnten Sie tun, um sich noch schlechter zu fühlen?“
„Was können Sie tun – angenommen Sie nähmen sich dies vor – um Ihr Problem
absichtlich zu verschlimmern, zu behalten oder zu verewigen?“
„Wie könnten die anderen dabei helfen, das Problem zu behalten?“
Problem- und Lösungsszenarien
Wenn jedem der Beteiligten seine aktive Teilnahme an der Problemerhaltung bewusst
geworden ist und sich Vorstellungen über mögliche Lösungen herauskristallisiert
haben (Verbesserungs-/Verschlimmerungsfragen), so kann man nun gemeinsam den
instrumentellen Charakter des Problems herausarbeiten. Das bedeutet, dass Probleme
als Instrument eingesetzt werden können um Bedürfnisse zu befriedigen bzw. Defizite
auszugleichen. So kann beispielsweise (unbewusst) eine Krankheit dazu eingesetzt
werden sich dem angstbesetzten Berufsalltag zu entziehen und einer Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen Problem auszuweichen.
Fragen nach dem Nutzen das Problem noch zu behalten
Dieser Fragetyp macht die Instrumentalität des Problems durchschaubar.
Beispiel: „Welchen Nutzen hätte es für das System, wenn das Problem noch eine Weile
bestehen würde?“
„Wird Ihr Mann/Ihr Chef/Ihr Kollege/Ihr Kind diesen Zustand nach dem Wunder eher
begrüßen oder eher darüber traurig werden und warum? Wie fühlen Sie sich dabei?“
© Reich, K. (Hg.): Methodenpool. In: URL: http://methodenpool.uni-koeln.de 2008 ff
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Fragen nach Zukunfts- und Zeitplänen
Probleme können in der Vorstellung der Beteiligten zeitlich unbegrenzt existieren oder
aber auch nur für einen bestimmten Zeitraum. Fragen nach Zukunfts- und Zeitplänen
sollen diese Vorstellungen aufdecken.
Beispiel: „Wie lange wird das Problem noch Ihr Begleiter sein? Wann werden Sie es
verabschieden?“
„Wir haben verstanden, dass du auf deine Eltern wütend bist und sie bestrafen willst:
Was denkst du, wann du sie genug bestraft hast- in einem Jahr, in zwei Jahren oder
schon in einigen Monaten?“
Als- ob- Fragen
Als- ob- Fragen sollen eine bewusste Simulation des Problems initiieren. Die
Präsentation des Problems (alle nach außen getragenen Symptome) wird hierbei vom
eigentlichen Problem losgelöst erfahrbar. Es ist durchaus denkbar, dass das gleiche
Problem in verschiedenen Situationen unterschiedlich geäußert wird, gleichzeitig kann
das nach außen getragene Symptom unterschiedliche Problemherde haben. Dadurch,
dass die Präsentation und das Problem an sich nicht zwingend miteinander verknüpft
sind, ergeben sich neue Handlungsoptionen, die aus den vermeintlichen Opferrollen
herausführen. So wird jeder zum bewussten Akteur.
Beispiel: „Wie müssten Sie sich verhalten, damit die anderen denken würden, Ihr
Problem sei zurückgekommen, obwohl es das gar nicht ist?“
„Angenommen, Sie hätten nächste Woche kein Kopfweh mehr, wollten aber Ihren
Partner gern weiter zu dem rücksichtsvollen Verhalten bewegen, dass er an den Tag
legt, wenn er Sie kopfwehgeplagt dasitzen sieht – wie könnten Sie das erreichen?“
„Angenommen, Sie würden ihrem Partner gegenüber nur so tun, als hätten Sie
Kopfweh – würde er sich dann genauso rücksichtsvoll verhalten?“